Mein größter Fehler

Einen Fehler einzugestehen ist nie leicht, vor allem gegenüber sich selbst. Für eine extrem selbstkritische Person wie mich noch mehr. Wenn dazu noch ein großer Traum involviert ist, wird es besonders hart. Ich hatte ihn nach langem Ringen verwirklicht und dann leichtfertig weggeworfen. Das geht mir bis heute nach und ich trauere dem hinterher. Das macht eigentlich keinen Sinn, da es vorbei ist und ich es nicht mehr ändern kann. Letztendlich war es meine Entscheidung, ich kann keine externe Faktoren oder jemand anderem die Schuld zuschieben. Aber da ich es nicht schaffe, damit abzuschließen, schreibe ich das alles auf. An anderer Stelle hat mir das geholfen. Was das euch, dem Leser bringt? Wahrscheinlich nichts. Aber darum geht es auch nicht. Just for myself, not for the joy of the audience. Aus Zeitgründen ist es zudem wahrscheinlich mehr abschweifendes Gelaber und weniger textlichen Feinschliff. Dass ich mich nicht kurz fassen kann ist nichts neues. Rechtschreibfehler dürft ihr behalten.

Wie alles begann

Ich war immer ein Nerd, habe ich für Technik interessiert, vor allem von Videospielen. Das war in den 90ern in der schwäbischen Provinz aber alles andere als Massenkompatibel. Ich war (und bin) immer ein Außenseiter, mit nicht-standard Hobbys und Interessen. Für sich im Bauwagen besaufen hatte ich nie viel übrig, sah keinen Sinn darin, mit Absicht Gift in meinen Körper zu schütten. Kombiniert mit eine paar anderen Wesenszügen führte das dazu, dass ich gut zwei Drittel meiner Schulzeit hart gemobbt wurde. Kinder können so grausam sein, weil sie oft nicht erkennen, was sie damit anrichten, vor allem langfristig. Diese Narben sind auch nach über 20 Jahren nicht vollständig verheilt. Dazu hatte ich nie den Eindruck, dass sich die Erwachsenen um mich herum für mein Martyrium großartig interessieren. Das führte nur dazu, dass ich mich noch weiter zurückzog und letztendlich jegliches Vertrauen in anderen Menschen verlor. Das macht es mir bis heute schwer, jede Art von soziale Beziehung aufzubauen und zu halten. Entsprechend sind mir die wenigen, die ich zumindest mal hatte, sehr wichtig - was nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhte, wie ich meist zu spät feststellen musste. Da blieb mir nur noch mein größtes Hobby: Videospiele.

Schon kurz nachdem wir in der Familie mit dem Gameboy das erste eigene Videospielsystem hatte, wollte ich wissen, wie das Teil funktioniert. Warum springt Mario, wenn ich einen Kopf drücke? Unglücklicherweise gibt eine Konsole ihre technischen Details nicht gerne preis. Der Super Nintendo ist in dieser Hinsicht das selbe ohne Batterien. Der 486er-PC, den wir später bekamen war nicht wirklich besser, weil keine Dokumentation und Tools dabei waren, um eigenen Programme zu erstellen. In der 8-Bit-Computer-Ära noch essentiell, wurde das hier nicht mehr für nötig gehalten. Ohne Zugang zu Informationen und jemanden, der mehr darüber weiß, blieb es dabei, dass ich darauf nur Programme anderer genutzt habe. Heute gibt es das Internet mit mehr Informationen, als man wahrscheinlich je wissen will, das ist es einfach, an entsprechendes Wissen zu kommen. Und die Firmen sind deutlich freigiebiger mit Dokumentation und Tools, früher waren sie meist nur gegen Geld zu haben und oder stark eingeschränkt - wenn man überhaupt von ihnen wusste und an sie heran kam. In Großstädten gab es Geschäfte und einfach mehr Leute mit dem Wissen, auf dem Land lagen (und zu einem gewissen Grad liegen) die Prioritäten anders.

Programmieren gelernt habe ich dann erst in meiner Ausbildung, wo es auch nicht der Hauptfokus war (als Fachinformatiker Systemintegration war ich mit dem ziehen von Netzwerkkabeln und konfigurieren von Switches beschäftigt, wenn nicht nur First-Level-Support), aber immerhin lernte ich, wie man einen Compiler benutzt. Und wenn es nur der wirklich furchtbare Borland C/C++-Compiler war. Immerhin kein Samtkissen-Programmieren ala Basic oder was Mananged, Java gab es Anfang der 2000er schon eine Weile und selbst C# war schon auf dem Markt. Schnell kam auch die Idee, ein eigenes Spiel zu entwickeln. Warum micht selbst Age of Empires nachbauen? Kann ja nicht so schwer sein, ist ja nur 2D-Grafik und ein Strategiespiel mit mehreren hundert Einheiten und eine für das Genre recht komplexen Wirtschaft. Gut, vielleicht doch erstmal einen Spur kleiner. Als ich fast eine Woche jeden Nachmittag damit verbracht habe, ein Tic-Tac-Toe-Spiel mit allen Randbedingungen und grafischer Oberfläche zu implementieren, dämmerte es mir, dass das Ganze wohl doch nicht so einfach ist. Zu mehr kam es entsprechend nicht. Dazu hat sich meine Ausbildung als Sackgasse herausgestellt.

Irrwege

Eigentlich wollte ich nie studieren. Ich komme auch nicht wirklich aus einer Akademiker-Familie. Für mich war es deshalb kein Thema, mit Realschulabschluss ging das nicht und so lange kein Geld verdienen? Das kam mir nicht in den Sinn, so wurde ich nicht erzogen. Eigentlich war Plan, ein paar Jahre zu arbeiten, den Techniker zu machen und mehr in Richtung Administration zu gehen. Als ich aber am Ende meiner Ausbildung als zweitbester meines Jahrgangs nur sehr kurz von meinem Ausbildungsbetrieb hätte übernommen werden können, was komplett nutzlos gewesen wäre, und auch keinen neuen Job fand, habe ich es dann doch in Erwägung gezogen. Und weil mir ein Mitschüler aus der Berufsschule einen einfachen Weg aufzeigte: ein Jahr Vollzeit Schule zur Fachhochschulreife, dann Studium. Bologna-Reform sei Dank wäre sogar eine Uni möglich gewesen. Ich entschied mich aber, auch aus finanziellen Gründen, für die nahe FH. Keine Top-Hochschule, aber sollte schon passen.

Dort habe ich dann den Spaß an der Software-Entwicklung gefunden. In meiner Ausbildung waren meine Skills noch zu limitiert und ich jetzt auch nicht gerade ein Super-Talent. Rekursion war kein Thema, und von selbst bin ich nicht darauf gekommen. Dazu hatte ich das Problem, dass der Umfang der Dinge, die ich machen wollte, nicht zu meinen Fähigkeiten passten. Gleich mal Age of Empires nach programmieren, statt vielleicht ein kleines Tool oder Script. Ich hab wohl schon immer sehr groß gedacht, oft zu groß. Erst später habe ich gelernt, meine Ambitionen mehr im Einklang zu meinen Fähigkeiten zu halten. Ein zweites Thema war selbst motiviert zu Arbeiten. Ich war bis zu meinem Studium immer nur Befehlsempfänger, ich musste wirklich erst lernen, wie ich was aus eigenem Antrieb mache und auch dabei bleibe, mein Geduldsfaden ist ein sehr kurzer.

Schon damals und davor habe ich mich mehr mit der Spieleindustrie und den Vorgängen im Hintergrund beschäftigt. Irgendwo in meinem Hinterkopf lugte doch noch der Traum, in der Branche zu arbeiten. Aber je mehr ich darüber erfuhr, desto beunruhigter wurde ich: Schlechte Arbeitsbedingungen, Überstunden ohne Ende dank 16 Stunden Tage an sieben Tage die Woche, miese Bezahlung und immer die Gefahr, dass ein Flop gleich die ganze Firma in den Abgrund reißen kann. Gerade letztes passierte in den 2000ern in der deutschen Spielbranche mehrfach und teils mit großem Knall. So eine Hochrisiko-Umgebung war mit dem mir von meinen Eltern anerzogenen Sicherheitsbedürfnis und Risikoaversion nicht zu vereinen. Dazu gab es in der schwäbischen Provinz auch keine Firma, die auch nur annähernd etwas in diese Richtung machte - hier ging es nur um den Maschinenbau. Die Zeit der 8-bit-Solo-Entwickler war vorbei (ohne dass ich etwas davon mitbekommen haben), Indie wie heute war damals noch nicht möglich.

Am Ende meines Bachelor-Studiums hatte ich nicht das Gefühl, damit wirklich fertig zu sein. Es war viel Grundlagen, aber wenig in die Tiefe. Vor allem Computer-Grafik und Mensch-Computer-Interaktion hatten mich interessiert, aber in Aalen gab es nur die Basis-Vorlesungen. Also schaute ich mich nach einer anderen Uni für mein Master-Studium um. Zufällig flammte ein alter Traum kurz wieder auf: die Hochschule Aalen ist eine Partner-Uni der Abertay University in Dundee, Schottland. Da gab es einen Studiengang Computer Games Technology. Dazu war es der Ort, wo sich DMA Design gegründet hat, die später Lemmings und dieses völlig unbedeutende Spielefranchise Grand Theft Auto aus der Taufe hoben. Die Zusage habe ich bis heute aufgehoben. Ich bin aber lieber nach Ulm.

Wobei ich das nicht direkt als Fehler ansehe. Ich hatte eine wirklich gute Zeit in Ulm, die Uni ist wie die Stadt überschaubar, hat aber alles wichtige. Dass die Computer-Grafik-Vorlesungen passend zu meiner Ankunft alle ausfielen, weil sich der Professor an eine andere Uni verabschiedet hat (den Fördergelder wegen), war Pech. Als sein Nachfolger anfing, hatte ich sechs Wochen zuvor meine Masterarbeit angemeldet. Da ich das nicht vorhersehen konnte und auch nicht die Zeit dafür hatte, habe ich meine Vorlesungs-Module mit anderen Sachen aufgefüllt, vor allem mit allgemeinem Software-Engineering. Da war genug spannendes dabei.

Warum ich nicht das Abenteuer in Schottland gewagt habe? Weil nach kurzer Zeit nur noch die negativen Gedanken dominiert haben. Ich habe nur noch dran gedacht, was alles schief gehen kann. Spreche ich die Sprach gut genug (trotz sehr gutem Ergebnis im TOEFL-Test, das fast für eine US-Elite-Uni gereicht hätte), komme ich mit dem Dialekt klar? Mit der schottischen Mentalität? Was passiert, wenn ich krank werde oder mich verletzte? Nur noch solche Gedanken haben mein Denken dominiert. Was das für eine Chance das gewesen wäre, spielte keine Rolle mehr. Ein Muster, dass sich leider wiederholen sollte (sry Spoiler).

In meiner Masterarbeit habe ich mich zumindest etwas mit Spielen beschäftigt. Da kurz vorher ein Forschungsprojekt zum Thema Serious Games startete, konnte ich meine Arbeit in diesem Kontext schreiben. Und prozedural Level generieren war auch eine wirklich schöne Aufgabe, das klappte besser als selber Level zu bauen. Für ein Spiel blieb aber nur sehr wenig Zeit. Ich habe auch kurz daran gedacht, mich damit in die Spielebranche zu bewerben, aber da ich schnell ein anders Angebot bekam, kam es dazu nicht.

Für mein Praxissemster war ich bei Holometric, eine heute nur noch auf dem Papier existierenden Tochterfirma der Carl Zeiss IMT (hat sich mittlerweile in IQS umbenannt. Auf dem Papier weil sie mittlerweile komplett assimiliert ist, der Name wird nur noch hin und wieder genutzt). Industrielle Messtechnik ist ein Thema, was mich wirklich begeistern kann, aber war so CAD-Artverwandt, weshalb ich die Chance sah, im Bereich Grafik und Rendering wieder oder besser: mal überhaupt etwas mehr als die Basics zu machen. Auch das Thema UI-Design war wichtig, stellte sich aber als Rohrkrepierer heraus, weil niemand einen Programmierer fragt, wenn man mit einer hochbezahlten Beratungsfirma zusammenarbeitet. Das wurde mir aber erst nach ein paar Wochen klar. So war es die Aussicht kombiniert mit den extrem guten Konditionen (viel Urlaub, wenig Arbeitszeit, absurdes Gehalt und an Perversion grenzende Boni), habe ich mich dafür entschieden und nichts anderes verfolgt. War nur leider ein Fehler.

Die nächsten fast fünf Jahre verschwendete ich mit dem entwickeln langweiliger Industriesoftware, eingeengt und fast zerquetscht in den starren Hierarchien und generellen Trägheit nicht nur eines Großkonzerns, sondern eines Großkonzerns in der super trägen Umfeld der industriellen Messtechnik, wo man Innovationszyklen in Jahrzehnten misst. Für einen Technologieenthusiasten wie mich ist das pure Gift. Ich lese in der Mittagspause oder am Wochenende über neue Technologie, Sprachfeatures oder ähnliches, nur mit Zeug zu arbeiten, was so nur gerade so noch im Supportzeitraum gehalten wird. Zwar wurde mir immer wieder erzählt, wie sehr sie sich weiterentwickeln wollen und das aktuelle Technologien so wichtig wären. Aber passiert ist nie etwas, weshalb ich das als leeres Gelaber abstemple. Klar gibt es immer Rahmenbedingungen, dass man nicht alles über den Haufen werfen kann, nur um an vorderster Front der Technik zu sein (was ich aber gern tun würde). Aber ich hatte nicht mal das Gefühl, dass von Seiten der Verantwortlichen (und einem Großteil der Entwickler, die einfach nur ihren Job machten, ohne jede Leidenschaft für ihr Handwerk) überhaupt das Interesse gab, die Umgebung technisch aktuell zu halten. Läuft doch alles, machen wir doch so weiter. Die Firma ist primär Maschinenbauer, Software genießt nur einen untergeordneten Stellenwert, viel zu niedrig für das, was daran hängt. Das wird gerne anders dargestellt, ich haben in meinen fast fünf Jahren aber etwas völlig anderes erlebt. Ich glaube kaum, dass sich das sich das in der Zwischenzeit geändert hat.
Es war auch etwas Pech dabei, mein größtes Projekt wurde nur Monate vor Release eingestellt, weil der Konkurrent, der damit angegriffen werden sollte, von meinem Arbeitgeber geschluckt wurde. Auf einen Schlag hat es seinen Daseinsberechtigung verloren. Das entschuldigt aber nicht die anderen Projekte, die gerade zu lächerlich schlecht gemanagt wurden. Generell war die Entwicklung ein einziges Chaos, gegen das gefühlt niemand etwas machen wollte. Wenn man jeden Release wirklich komplett verkackt, aus dem immer gleichen Gründen (alles hart verbugged, Features nicht fertig, weil keine klaren Anforderungen die sich auch noch oft ändern weil die Stakeholder sich häufig selbst nicht einige sind, was sie wollen und noch einiges mehr - aber so ziemlich alles die typischen Probleme von Softwareentwicklung mit Leute, die davon keine Ahnung haben) könnte man doch mal auf die Idee kommen, etwas zu verändern. So denke ich zumindest. Aber das wollte in der Führungsebene niemand, stattdessen wurde einfach weiter gemacht und der nächste Release genauso gegen die Wand gefahren. Es ist grenzt nicht nur an Realitätsverweigerung, wenn man Probleme nicht angeht, sondern sich sogar noch einredet, dass alles gut laufen würde, weil man den Release am Ende doch noch irgendwie hingebogen hat - jedes verdammte mal. Das war zumindest mein Eindruck. Ich hatte zwar nichts zu sagen, steckte aber in den Schützengräben der Programmierung und musste mit den Konsequenten leben.
Für mich war das alles wahnsinnig frustrierend, weil ich das Potential in den Mitarbeitern sah, das hier so leichtfertig und völlig vorhersehbar verschwendet wurde. Dazu kamen noch die für Großkonzerne typischen Eitelkeiten und politischen Spielchen Einzelner, denen es wichtiger war, sich selbst zu profilieren statt dass am Ende ein gutes Produkt entsteht.

Ich wollte eigentlich schon viel früher weg, aber es hat nie geklappt. Vor allem beim Bewerben in die Spieleindustrie, was ich endlich mal richtig wagte, war ich viel zu naiv. Ich hatte nichts praktisch vorzuweisen, kein Portfolio - und dann zählt man da nichts. Abschlüsse, Titel, Erfahrung in anderen Bereichen ist quasi wertlos. Also habe ich mich weiter durchgebissen, durch alle Bürokratie, politische Spielchen und nervige Entscheidungsprozesse. 2019 ergriff ich die Chance, auf eine Vier-Tage-Woche umzusteigen, um mein Portfolio-Projekt endlich voranzubringen, nur an Wochenenden machte mein Energielevel nicht mit. Ich liebe meinen Job, aber für 24/7 reicht es nicht - wie bei den meisten Entwicklern. Gleichzeitig wurde der Frust über meine berufliche Situation so groß, dass es körperliche Auswirkungen hatte. Anders kann ich mir nicht erklären, warum ich in diesem Jahr mehr Krank war als in den vorherigen sechs oder sieben zusammen. Was dem Fortschritt meines Projektes nicht half. Deshalb habe ich am Ende des Jahres auch die Reißleine gezogen und mich in ein Sabbatical verabschiedet.

(K)ein Traum?

Erstmal lief es gut, trotz Nachrichten über so ein Virus in China war Anfang 2020 eigentlich alles in Ordnung. Ohne die Bürde, viel Zeit und Energie in einem Job zu verschwenden, der mich nicht voranbrachte und mir auch keinen Spaß machte, kam ich endlich auch mit der Arbeit an meinem Portfolio-Projekt voran. Viereinhalb Monate später war ich mit meinem Game Engine Prototyp soweit, dass ich ihn an Spielestudios schicken konnte. Ich habe vorher eine Liste gemacht und meine Favoriten herausgepickt, von denen wurde es aber keiner. Stattdessen verliefen die Gespräch mit den Gaming Minds Studios (GMS) positiv. Ich kannte das Studio und seine Spiele nur entfernt, Patrizier und Port Royale waren mir ein Begriff, habe ich aber nie wirklich gespielt. Railway Empire habe ich einige Jahre vorher auf der GamesCom gesehen und auch privat gespielt. Vielleicht habe ich deshalb nicht realisiert, dass hier eigentlich ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Aber hey, sie wollte mich einstellen, sogar als Engine Programmierer, also auf nach Gütersloh.

Mitten in einer Pandemie war das kein leichtes Unterfangen, die 450km Distanz taten ihr übriges. Die ersten sechs Monate wohnte ich in einer kleinen Wohnung, wo ich bis heute überzeugt bin, dass sie mir meinen Tinnitus eingebrockt hat. Weil sie an einer Hauptverkehrsstraße lag, so gut wie keine Schallisolierung hatte (sowohl innen als auch nach außen) und der Burger Lieferdienst im Stockwerk darunter jeden Tag von morgens um 10 bis Abends mindestens zehn, eher elf, auf Hochtouren lief. Erst ein Umzug in eine ruhigere Gegend brachte Besserung, aber seitdem habe ich ein mehr oder minder starkes Piepsen im linken Ohr und fast maschinenartiges Brummen im rechten. Je nach Stresslevel reicht seine Präsens von “bemerke ich kaum” bis “mir platzt gleich der Schädel”.

Meine Ankunft in der Firma war ein ziemlicher Kulturschock: Ich war bisher nur große Institutionen gewohnt, eine Schule und Uni sind ja auch nichts anderes. Viel Bürokratie, alles durchorganisiert (wenn auch mal recht chaotisch), wenig Freiheit für den Einzelnen. Gaming Minds ist da völlig anders aufgestellt. Ich hatte das zwar erwartet, aber auch eher theoretisch. An meinem ersten Tag begrüßte mich der Technical Director Kay Struve, zeigte auf meinen Platz dass ich gleich anfangen kann und mein Kollege, der mich einlernt direkt daneben. Und dann habe ich direkt angefangen zu arbeiten, ohne den anderen auch nur vorgestellt zu werden - oder anders herum. Gegen Mittag ist Kay dann regelrecht von seinem Platz aufgesprungen, kam ein paar Minuten später mit einer Tüte vom Bäcker um die Ecke wieder. Das ist wohl sein Mittag, dann werden dass die anderen wohl auch so machen. Bei all dem negativen bei meinem vorherigen Arbeitgeber, hatte ich immer das Gefühl, Teil des Teams zu sein. Prozessbedingt hatten wir viele Meetings, aber sind meist zusammen zum Mittag gegangen. Klar hatten wir den Vorteil einer Kantine auf dem Werksgelände. Aber dass das jeder für sich macht, was bei GMS völlig normal ist, daran war ich so gar nicht gewohnt. Eine Vorstellung gab es erst am Nachmittag des ersten Tages, als ich mit Creative Director Daniel Dumont die letzten organisatorischen Dinge erledigte (nachdem er mir eine viertel Stunde lang erklärte, welche Wurst man nur aus welchem Teil Deutschlands essen kann - in dieser Hinsicht ist er fast mehr Experte als beim Designen von Spielsystemen). Im Nachhinein deute ich das schon ein wenig als Zeichen, wie diese Firma arbeitet: Maximale Produktivität, keine Ablenkungen.

Ursprünglich habe ich als Engine Programmierer angefangen, eine Stelle, die sehr in die technischen Details eines Spiels geht. Immerhin hatte ich mich darauf beworben und auch eine Prototyp von Grund auf selbst gebaut. Allerdings sind die Anforderungen in einer Firma, die ein kommerzielles Produkt herausbringt, deutlich höher. Zu viel für mich, wie ich nach den ersten drei Monaten feststellen musste. Ich konnte die einfachen Dinge machen, für anderes brauchte ich sehr lange, habe viel Zeit damit verbracht, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. Bildlich gesprochen natürlich. Mein Wissensstand reichte einfach nicht aus, um produktiv diese Arbeit machen zu können. Um diesen Zeitpunkt herum wurde das Ablegerstudio in Paderborn gegründet, mit vielen Entwicklern direkt von der Uni. Einer der Core-Tech-Programmierer war mir in dieser Hinsicht soweit voraus, dass ich kaum Hoffnung hatte, dass ich das irgendwann aufholen könnte. Nicht dass ich mich für zu blöd halte, mein Wissensrückstand war einfach zu groß. Und neben produktiver Arbeit nicht aufzuholen. Das war der Unterschied von fokussiert auf ein Ziel hin arbeiten gegenüber meinem Schlingerkurs und nicht so wirklich zu wissen, wo ich genau hin will.

Ich wechselte dann auf die noch freie Stelle eines UI-Programmieres, meine Stelle übernahm ein neuer Kollege, der früher schon in der Spieleindustrie gearbeitet hat und in Core-Tech-Themen viel mehr Wissen mitbrachte. Mit UI-Themen kannte ich mich aus, es war als Möglichkeit gedacht, meine Skills weiter auszubauen und evtl. später wieder an der Engine zu arbeiten. Ich bin Kay für die Chance dankbar, schließlich hätte er mich auch einfach rausschmeißen können, war ja noch alles innerhalb der Probezeit. Vielleicht hatte er auch schlicht keine Lust, nochmal einen Bewerbungsprozess durchzumachen.

Die Änderung kam auch zu der Zeit, als die erste große Pandemie-Welle durch Deutschland schwappte und gut zwei drittel der Firma ins Home Office gingen. Ich war bis Jahresende noch im Büro, aber mit kaum jemand da und die paar verbleibenden waren auch noch die besonders wenig gesprächigen. So saß dich den ganzen Tag auch nur stumm vor meinem Rechner. Immerhin war es ruhiger als in meiner Wohnung. Mit dem Wechsel zur UI-Programmierung arbeitete ich primär mit einem anderen Kollegen zusammen, der nicht mehr ins Büro kam, dann blieb ich auch daheim. Der Umzug innerhalb Güterslohs lies sich so auch besser koordinieren. Bis Juli 2021 sollte ich nur vereinzelt ins Büro kommen. Das war für mich persönlich eine sehr schwere Zeit, was mir aber erst so nach und nach bewusst wurde.

In dieser Zeit wurde mir klar, dass Home Office nichts für mich ist. Jeder Tag war irgendwie gleich, schließlich verbrachte ich fast die ganze Woche in der Wohnung. Es gab gefühlt keinen Unterschied mehr zwischen Arbeit und Freizeit, kein Wochenende, ich konnte nie wirklich abschalten. Dazu fühlte ich mich über Monate isoliert. Die meisten meiner Kollegen sah ich nur einmal am Werktag für 10 Minuten in unserem Daily. Per Webcam natürlich. Und auch nur die Programmierer, mit den Designern und Artists hatte ich wenig zu tun und hatte entsprechend außer dem Text-Chat keinen Kontakt. Dazu war ich immer noch neu in der Stadt, kannte abseits der Arbeit niemanden. Das mir ein soziales Netz aufbauen schwerfällt, habe ich bereits weiter oben beschrieben. Zeitgleich versandeten meine letzten Freundschaften. Ich war es leid, immer derjenige zu sein, der alles antreibt. Ich fühlte mich, als würde ich ihnen hinterher rennen - und das mache ich nicht, für niemanden. Weil ich dann am Ende derjenigen bin, der viel Investiert, aber nicht mehr zurückbekommt. Deshalb habe ich auch nichts mehr gemacht, wodurch gar nichts mehr ging. Früher konnte ich mein Bedürfnis nach sozialer Interaktion über die Arbeit stillen, aber wenn ich den ganzen Tag daheim sitze und teils tagelang mit niemanden rede, geht das auch nicht mehr. Entsprechend habe ich mich gefreut, dass alle wieder ins Büro kommen. Aber da schien ich der einzige gewesen zu sein.

Es war aber nicht von langer Dauer. Nach der Rückkehr im Juli kam im November die nächste Welle, die meisten meiner Kollegen verschwanden wieder nach Hause. Ich auch, zumindest vorerst. Ich kam aber trotzdem früher wieder zurück, weil ich merkte, dass es für mich besser ist, wenn ich jeden Tag aus dem Haus gehen, da die räumliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit für mich wichtig ist. Allerdings traf ich auch eine folgenschwere Entscheidung: Von dem Verlauf des Jahres desillusioniert, kam ich zu dem Schluss, dass Gaming Minds für mich nicht die richtige Adresse ist und dass ich nach der Fertigstellung von Railway Empire 2 gehe. Ein stückweit war das auch ein Resultat daraus, dass ich bei der IMT viel zu lange blieb obwohl nichts ging, diesen Fehler wollte ich nicht wiederholen - und bin ins Gegenteil verfallen. Und habe mir eine fatale, aber völlig unnötige Deadline gesetzt.

Was sich im Jahr zuvor in den sechs Wochen, bevor ein Großteil der Firma ins Home Office verschwand sich schon andeutete, wurde mir erst nach der Rückkehr ins Büro so richtig bewusst: Wie stark diese Firma auf maximale Produktivität und Effizienz ausgelegt ist. Alle ist darauf getrimmt, möglichst effizient zu programmieren, alles was davon abhält, wurde regelrecht verpönt. Jeder der Programmierer sitzt zu 99% stumm vor seinem Rechner und programmiert. Ich war zu Anfang regelrecht geschockt, weil ich keinen Entwicklungsprozess erkennen konnte. Wie kann das sein, in der Uni habe ich doch was anderes gelernt? Kein Entwicklungsprozess ist pures Chaos, wo immer ein Desaster rauskommt! So einfach ist das hier nicht, es ist kein Chaos. Ich habe nur lange nicht verstanden, wie alles funktioniert. Wahrscheinlich auch, weil ich meine Kollegen nie gesehen habe, die Gespräche außerhalb der eigentlichen Arbeit bei Mittagessen oder ähnliche gab es ja nicht. Das ganze System bei GMS fußt darauf, dass die Rollen so klar verteilt sind.

Ein wenig muss man sich das vorstellen wie das Konzept, dass bei der deutschen Basketball Nationalmannschaft erfolgreich verfolgt wurde: jeder hat seine klar definierte Rolle, für die wird er eingesetzt, und nichts anderes. Auf Software-Entwicklung umgelegt wird daraus, dass für jeden Bereich genau ein Entwickler zuständig ist. Ein Planning-Poker oder ähnliches ist nicht nötig, weil eh nur einer die Funktionalität umsetzten kann. Die Verantwortlichkeiten sind klar, die Schnittstellen ebenso (es gibt ja nur einen, mit dem man reden kann). Dadurch ist große Koordination überflüssig, was viel Zeit freimacht. Dazu kommt eine selbst entwickelte Engine, die genauso pragmatisch mit einfachen Patterns aufgebaut ist. Schnittstellen wurden minimiert, damit nur wenig Absprache nötig ist. Es gibt nie mehr Komplexität als nötig, vor allem in der Organisation. Das ist für mich der Grund, warum Gaming Minds so effizient Spiele entwickelt.

Das ist aber nicht ohne Nachteile. Einige Teile des Codes sind nicht so gut strukturiert und voneinander getrennt, wie man sich das normalerweise wünschen würde. Viel schwerer wiegt aber, dass wenn nur es für jeden Teil nur einen Entwickler gibt, ein Ausfall ein großes Probleme werden kann. Im besten Fall bleibt nur Arbeit liegen, wenn es aber an einer zentralen Stelle ist, wo vieles zusammenläuft, kann das fatal enden. Als ein Kollege krankheitsbedingt mehrere Wochen ausfiel, war es schwierig, weil so viel an dieser einen Person hängt. Seine Rolle war eine sehr zentrale, die viele Teile miteinander verbindet. Ich denke, nur durch großen Einsatz seinerseits wurde das am Ende noch hingebogen. Verantwortlichen in größeren Unternehmen dürfte bei dieser Vorstellung aber die Haare zu Berge stehen.

Als 2022 wieder mehr Kollegen ins Büro kamen, war ich in meiner Entscheidung zu gehen nur bestärkt. Obwohl wieder fast alle da waren, war doch irgendwie jeder für sich. Statt zum Beispiel zu Mittag in der Küche zusammen zu essen, haben sich oft alle an ihre Plätze verzogen, allein gegessen und Videos geschaut. Ganz wie im Home Office. Ich hatte den Eindruck, meine Kollegen mussten sich erst wieder daran gewöhnen, den Tag über andere Menschen zu sehen. Viele Rituale musste sich erst wieder einspielen, was einige Monate gedauert hat. 2021 war dafür wahrscheinlich schlicht zu wenig Zeit.

Zumindest mit den anderen Kollegen, die Programmierer blieben trotzdem größtenteils jeder für sich. Wenn andere Leute zu mir kommen, dass die Pandemie und alles drumherum für Programmierer ja kein Problem gewesen sein/ist, weil je eh nur jeder alleine vor seinem Rechner sitzt, entgegne ich, dass das so nicht stimmt. Software-Entwicklung an großen Projekte ist ein hoch kollaborativer Prozess. Und jetzt bin ich einem Laden geladen, wie die Entwicklung kaum klischeehafter sein könnte. Ich hatte früher auch immer Kollegen, die weniger gesellig waren und sich mehr zurückzogen. Aber hier waren recht viele, was mich immer irgendwie irritierte. Kombiniert mit dem vollen Fokus auf Produktivität, der alles andere untergeordnet wurde. Klar ist das auch jedem das seine und meine Probleme sind nicht ihre. Wenn das alle gefällt, nur nicht mir, ist klar, dass ich an der falschen Stelle bin. Das war zumindest meine Logik.

Zudem stellte sich für mich nie wirklich das Gefühl ein, Teil des Teams zu sein. Ich hatte beispielsweise versucht, einen Film-Abend einmal im Monat zu etablieren, was überhaupt nicht angenommen wurde. Als ein anderer Kollege das selbe ein paar Monate später versuchte, wurde es angenommen. Das kann ein blöder Zufall sein, in meinem Kopf wirkte das aber anders. Oder als intern die Bombe platze, dass Kalypso mit dem Team in München, dass Tropico 7 entwickeln sollte, nicht weiter macht und stattdessen das Projekt uns anbot (was mittlerweile kein Geheimnis mehr ist, das Gaming Minds arbeitet daran). Ich war an diesem Tag als einziger nicht im Büro, hatte ein Bewerbungsgespräch vor Ort bei einer anderen Firma. Am nächsten Tag las ich in unserem internen Chat Tool etwas von Tropico Design Dokumenten, und fragte nur “was kümmert uns das?” - und bekam keine Antwort. Am selben Tag war Release von Railway Empire 2, was mit Grillen auf der Terrasse vor der Firma begangen wurde. Ich schnappte immer wieder auf, dass Kollegen über Tropico redeten, aber wusste nicht warum. Klar reden wir über Spiele, wir sind ja alle Fans, niemand geht in die Industrie, wenn er oder sie keine Spiele mag. Aber es war schon auffällig viel. Bis einer der Artists zu mir sagte: “Ach ja, du warst gestern nicht da, Kalypso hat uns Tropico 7 angeboten”. Keiner der anderen, inklusive meiner Chefs hielt es für nötig, mich mit einem Wort darüber zu informieren. Das hat mich nur noch weiter gebeutelt. Das waren bei weitem nicht die einzige Vorkommnisse dieser Art, und wahrscheinlich hält ein Teil meiner Kollegen mich in dieser Hinsicht für empfindlich, aber das bin ich dann eben. Ich bin kein Code-Affe, der einfach nur widerspruchslos alles tut, was man ihm sagt. Ich denke mit, mache mir Gedanken, will teils auch mitreden - auch wenn wahrscheinlich besser wäre, wenn ich das nicht tue. Dazu habe ich die Eigenart, dass man mich mit Nicht-Wissen quälen kann. Wenn ich nicht weiß, wo ich bei jemandem dran bin oder über Vorgänge nicht genug weiß, quält mich das. Ich reime mir dann allerhand Unsinn in meinem Kopf zusammen. Nicht die beste Angewohnheit, aber ich kann nicht anders. Das alles bestärkte mich nur darin, am falschen Ort gelandet zu sein und war der Hauptgrund, warum ich bei der Entscheidung blieb, Gaming Minds zu verlassen.

Als Railway Empire 2 Anfang 2023 auf der Zielgeraden war, habe ich deshalb angefangen, mich bei anderen Spielestudios zu bewerben. Und dann kam der nächste Schock: alle resultierten in Absagen. Wieder einmal. Ich hatte genau ein Gespräch, und das war nur mit einem Recruiter, nicht mal mit einem Entwickler. Das hat mich hart getroffen. Bisher war klar, ich habe keine Erfahrung, deshalb nimmt mich niemand. Aber die habe ich jetzt doch! Ich habe die komplette Produktion eines Spiels mitgemacht, dass kurz vor dem Release stand (pünktlich!) und trotzdem gab es nur Absagen? Fast schon verzweifelt, weil meine selbst gesetzte Deadline nahte, schaute ich mich auch nach Stellen in anderen Industrien um. Und traf eine fatale Entscheidung, durch die dieser Text erst entstand. Schnell war klar, dass ich hier den größten Fehler meines Lebens begangen habe.

Bis zu den Schultern in der Schüssel

Nachdem ich mehr und mehr den Glauben verlor, nochmal was mit Spielen zu machen (bleiben war in meiner Wahrnehmung keine Option), habe ich mich anderweitig umgeschaut. Wobei meine Motivation sehr niedrig war, die vielen Absagen wirkten noch eine Weile nach. Mehr durch Zufall bin ich wieder auf der Karriereseite von Carl Zeiss gelandet. Ich habe mir überlegt, ob ich nach meinen Erlebnissen bei der IMT/IQS dort nochmal bewerben sollte. Aber ich kam zu dem Schluss, dass die anderen Geschäftsbereiche ja nicht genauso schlecht sein müssen. Aber der Bereich für industrielle Messtechnik war raus, ebenso alles, was von jemandem geleitet wurde, mit dem ich vorher schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Weil ich davon ausging, dass die alles genauso weiter machen, also genauso schlecht. Es auszuprobieren wollte ich auch nicht.

Da gab es auch zwei interessante Optionen, wobei sich die erste beim ersten Gespräch als nicht für mich passend herausgestellt hat. Ich war noch nicht bereit, das Programmieren aufzugeben, um den ganzen Tag nur meinen Arsch in Meetings platt zu drücken. Die andere klang nicht ganz verkehrt. Eigentlich hätte das schon ein Warnsignal sein sollen: “nicht ganz verkehrt”, was ist denn das schon für eine Formulierung? Technologisch wieder C# statt C++, aber dafür ist der Markt abgesehen von Embedded sehr klein. Deshalb hatte ich wenig Hoffnung und mich darauf eingestellt, wieder im verbreiteteren Managed-Bereich zu arbeiten. Das hätte ich wohl noch akzeptieren können. Aber vieles andere war unklar, ich traf einige Annahmen basierend auf meinen Erfahrungen bei der IMT/IQS. Oder einfach so, statt nachzufragen, ob es wirklich so ist. Dass die SMT wegen ihres besonderen Marktumfeldes sehr anders arbeitet war mir bewusst, aber dass das auch auf die Software-Entwicklung zutrifft, das konnte ich mir nicht vorstellen. Aber vor allem wegen des von mir selbst auferlegten Zeitdrucks, möglichst zeitnah nach Railway Empire 2 zu gehen, weil am Folgeprojekt zu arbeiten keinen Sinn macht, habe ich den Job angenommen. Es folgte ein enorm stressiger Umzug (in die andere Richtung war einfacher, weil ich im Sabbatical viel Zeit dafür hatte, bei 40h Wochen und ein Projekt abschließen war das nicht drin) und eine semi-gute Ankunft in der neuen Wohnung. Aber es sollte noch schlimmer werden.

Am ersten Tag hat mich ein Kollege an der Pforte abgeholt, wir haben meine Hardware geholt und ich habe mich an die Einrichtung gemacht. Es sollte ein Woche dauern, bis ich eine Linzens für Visual Studio hatte, das wichtigste Tool eines Entwicklers in diesem Umfeld. Deshalb habe ich viel Zeit mit Schulungen und anderem Kram verbracht, alles sehr viel, was nicht zu meiner eigentlichen Arbeit gehört und von der Corporate-Seite vorgeschrieben wurde, egal wie schwachsinnig es war. Aber der Knackpunkt war das erste Treffen mit dem Team. Dass an einem Freitag die Büros ziemlich leer sind, hat mich nicht überrascht. Aber nicht, dass das für mich normal sein wird. Weil ich von meinem Team der einzige vor Ort bin. Und nicht nur das, alle anderen sind bei einer Tochterfirma oder gleich einem externen Dienstleister angestellt. Das war ein richtiger Schock, der aber erst am Abend, als ich heim ging und ein wenig den Kopf frei hatte, so richtig einsetzte. “Was ist hier schief gegangen? So war das nicht gedacht” war mein Gedanke. Und es wurde nicht besser.

Ich ging ins Büro, aber war da allein. Also nicht buchstäblich, es saßen schon Leute um mich herum. Mit denen hatte ich aber nichts zu tun und niemanden kannte. Mein Projekt war komplett intern und recht autark, Zusammenarbeit mit anderen Team fand so gut wie nicht statt. Hatte ich weiter oben noch moniert, dass bei Gaming Minds jeder für sich arbeitet, haben wir trotzdem an einem Projekt gearbeitet und haben zumindest hin und wieder miteinander geredet. Hier gab es nicht mal das, es hatte ich zudem eine Kultur des verteilten Arbeitens und Remote First etabliert. Die meisten Mitarbeiter waren ein oder zweimal die Woche vor Ort, manche nur so oft Monat oder noch weniger. Alles wurde über Microsoft Teams abgewickelt, in einem simplen Quader als Raum zu sitzen, wo parallel drei bis acht Leute in Meetings sitzen erzeugt eine Geräuschkulisse, die nur noch von der Baustelle nebenan übertroffen wurde (manchmal hat von den Arbeiten mein Tisch vibriert). Dazu wohnte ich daheim auch neben einer, weil der Spielplatz nebenan durch das Gegenteil ersetzt wurde - ein Altenheim. An beiden galt, wenn sie richtig Gas geben, ist ein Tinnitus voll da. Die beste Anschaffung aus dieser Zeit sind deshalb so kleine In-Ear-Kopfhörer mit ANC-Funktion, wodurch ich den Lärmpegel zumindest etwas dämpfen konnte und es erträglicher machte.

Den Mitarbeitern mache ich dabei keinen Vorwurf, warum sollen sie auch rein kommen, wenn es laut ist, die Platzplätze völlig unterdimensioniert (kein Wunder wenn man in einem Jahr 1200 Leute einstellt!), die Kantine überlaufen und der Kaffee schlecht (habe ich gehört, ich trinke keinen). Aber vor allem, dass es so viele externen Mitarbeiter gibt. Gut zwei drittel sind nicht direkt bei Zeiss angestellt, über halb Europa verteilt, alles läuft er Online-Meetings - warum soll man dann überhaupt reinkommen? Ich habe schon bei der Bewerbung gemerkt, dass ich in dieser Hinsicht eine ziemliche Anomalie bin, weil ich gerne ins Büro gehe und direkt mit meinen Kollegen kommuniziere. Diese Ausmaße konnte ich mir aber nicht vorstellen.

Auch meinen Team-Kollegen mach ich keinen Vorwurf, sie wurden genauso wie ich in die Situation von Leute geworfen, die nur sehr rudimentär wussten, wie die Arbeit eigentlich lief. Und fast schon romantisierte Vorstellung hatten, was da eigentlich gemacht wurden. Kann ja aber auch nichts werden, wenn in einer Organisationseinheit Mitarbeiter aus dutzenden Teams sind, da kann ja niemand den Überblick behalten - man darf sich aber nicht einbilden, ihn zu haben. Eines ist mir im Team sauer aufgestoßen, nämlich dass so gut wie immer die Kameras aus waren. Ich habe von einem meiner Team-Kollegen vergessen, wie er aussah, weil ich ihn nach dem ersten Treffen monatelang nicht sah und er auch in seinem Profil kein Bild hinterlegt hatte. Bei Gaming Minds waren die Kameras immer an, was ich während der Pandemie als einen guten Kompromiss sah, weil so das persönliche nicht komplett flöten ging. Wirklich getroffen habe ich nur ein paar der Verantwortlichen, wenn sie angereist sind (wir reden von mehreren hunderten Kilometer, das war kein Standard), die Entwickler habe ich aber nie getroffen. Für eine angedachte Reise wurde ich “passend” krank, aber in meiner Zeit war nur eine angedacht. Das zähle ich nur als Event, nichts regelmäßiges. Früher habe ich nur Kollegen von anderen Teams aus anderen Standorten öfter getroffen, und das immerhin zwei oder dreimal im Jahr.

Warum ich dann überhaupt dahin bin, wo mir das Umfeld doch so wichtig ist? Weil ich es nicht wusste. Auf die offenen Fragen oder gar Red Flags habe ich nicht nachgehakt, getrieben von meiner Frustration über das erneute scheitern bei der Videospielindustrie und dem von mir erzeugten Zeitdruck bin ich das schlicht übergangen. Ich konnte mir eine Situation in diesem Ausmaß auch schlicht nicht vorstellen. Jeder, der mal in einem Großkonzern gearbeitet hat dürfte wissen, dass man zu einem gewissen Grad indoktriniert wird. Meist nennen sie das “Werte” oder ähnliches. Und da passt dieser große Fokus auf Remote und vor allem die krasse Externalisierung nicht zu dem, wie Zeiss sonst arbeitet und sich aufstellt. Sondern als eine Firma, wo die Mitarbeiter als das höchste Gut gelten und entsprechend fast schon umsorgt werden, damit sie sich wohl fühlen und nicht abwandern. Selbst der Gründer Carl Zeiss hat im 19. Jahrhundert in dieser Hinsicht erstaunliche Dinge gemacht, die alles andere als Standard waren zu dieser Zeit. Zwar wurde mir immer wieder gesagt, dass das alles anders geplant war und dass man die Externalisierung und Remote Arbeit zurückfahren wollte, aber auch nach meinen Erfahrungen und soweit ich das beurteilen konnte, habe ich dem keinen Glauben geschenkt, habe es als leere Worthülsen eingestuft. Mal abgesehen davon, dass mir schöne Worte nichts bringen, nur Taten sind etwas wert.

Ende September, nach gerade mal einen Monat war für mich deshalb klar, dass das alles ein Fehler war. In Griff ins Klo in jeglicher Hinsicht. Mir fällt es wirklich schwer, dieser Entscheidung etwas positives abzugewinnen. Und nein, das wieder mal absurde Gehalt mit mindestens sechs Bonuszahlungen pro Jahr zählt da nicht. Ich begann als, mich nach etwas neuem umzusehen, aber schnell wieder vom Gas gegangen, weil ich vom Umzug und dem Frust über die Fehlentscheidung komplett ausgelaugt war. Ich habe nicht mehr so aktiv gesucht, sondern eher auf Angebote gewartet oder nachgegangen, was mir über den Weg lief. Ich habe sogar noch einmal einen Versuch in die Spieleindustrie gewagt, der sogar gar nicht so schlecht verlief, aber am Ende nichts daraus wurde. Da ich keine zu großen Hoffnungen hatte, hat es mich weniger belastet. Im neuen Jahr wollte ich dann voll angreifen, aber die Suche zog sich lange hin. Zum einen, weil die generelle Wirtschaft in einem so schlechten Zustand ist, dass selbst erfahrene Software Entwickler nicht übermäßig begehrt sind. Dazu wollte ich sicher gehen, das richtige zu finden. Nicht nochmal den selben Fehler machen, alles abklären was geht und mich mit jemanden beraten, ob ich wirklich überzeugt davon bin.

Wie es jetzt weiter geht

Ab dem 2. September habe ich einen neuen Job. Wieder eine kleine Firma, weniger als 20 Mitarbeiter, davon acht Programmierer und alles in C++, mit Gaming Minds Studios durchaus zu vergleichen. Mehr Vor-Ort-Kultur, zwar Industriesoftware, aber nicht uninteressant. Deshalb verspreche ich mir von der Stelle und der Firma eine deutliche Verbesserung, und habe auch ein paar eher nicht so tolle Aspekte in Kauf genommen. Perfektion gibt es nirgends, und viel schlechter kann es nicht mehr kommen, oder? Das dachte ich letztes mal auch…

Mit einem habe ich bzw. eher will ich abschließen: dass ich nochmal in der Spieleindustrie arbeite. Ich habe wirklich keine Hoffnung mehr, dass da nochmal was klappt. Nicht nur weil ich mit 37 Jahre und gefühlt nichts erreicht alles aber keine Paradebeispiel für gute Karriereplanung bin. Ich dürfte mittlerweile die Marke von 50 Bewerbungen in diese Industrie übersprungen haben, bei fünf kam mehr als eine direkte Absage heraus und nur eine verlief bis zum Ende positiv. Ich glaube noch deutlicher kann man jemanden kaum mitteilen, dass er dort keine Zukunft hat. Dazu kommt, dass es mich nahe an die schwäbische Landeshauptstadt zieht, die wirklich alles, aber keine Hochburg der Spieleindustrie ist. Und auf mehr als den vierten Umzug in fünf Jahren, habe ich wirklich keine Lust. Vielleicht schaffe ich es auch mal, ein stabiles, soziales Umfeld aufzubauen. Natürlich ist es schwer, einen Traum zu begraben, aber ewig kann man ihm auch nicht hinterher rennen. Vor allem wenn die Bilanz so schlecht ist.

Natürlich soll man niemals nie sagen - aber dafür habe ich in dieser sehr speziellen Industrie einen viel zu kleinen Abdruck hinterlassen. Irgendwann muss der Punkt kommen, wo man sich eingesteht, dass man gescheitert ist und damit seinen Frieden machen. Zumal ich beim aktuellen Zustand der Branche schätze, das frühestens in zwei Jahren wieder signifikante Inventionen getätigt werden. Deshalb muss ich mich eher damit abfinden, dass ich den besten Job meines Lebens leichtfertig weggeworfen habe.

Jetzt fragt bestimmt jemand “mach es doch selbst, gibt doch erfolgreiche Indie-Entwickler”. Ja das stimmt. Aber die erfolgreichen sind nur ein kleiner Bruchteil. Und die haben eines gemeinsam: eine gute Idee oder Twist, der sie von anderen abhebt. Und wenn es nur “Klon eines alten Spiels, das niemand mehr macht, aber eine substantielle Fanbase hat” ist. Dazu braucht es aber Kreativität. Meine kreative Ader ist aber eher ein Rinnsal, was mir nochmal in der Zusammenarbeit mit den Designern bei Gaming Minds klar wurde. Sie haben eine ganz andere Art zu Denken, die mir als Techniker völlig fremd ist, mein Hirn ist auf logische Problemlösung getrimmt. Das heißt nicht, dass ich nicht mal ein oder zwei gute Ideen haben kann. Aber nicht genug, um ein komplettes Spiel daraus zu machen.

Ich hoffe zumindest, dass ich aus dem Ganzen gelernt habe: Keine Entscheidung als endgültig und unumstößlich zu sehen. Mehr auf die aktuelle Situation achten, statt auf das, was irgendwann mal war. Das zu schätzen wissen, was ich habe, statt von dem Gedanken verzehrt zu werden, was noch alles sein könnte. Akzeptieren, dass nicht alles perfekt laufen wird. Und für die Probleme Lösungen versuchen, statt gleich den radikalen Schritt zu gehen. Ich habe beispielsweise nie versucht, anderweitig in Gütersloh Fuß zu fassen. Drei Jahre saß ich im Prinzip auf gepackten Koffern. Auch wenn es vielleicht nicht geklappt hätte, nicht mal den Versuch zu unternehmen, ist dann schon ein fataler Fehler.

Das heißt aber nicht, dass ich nichts mehr mit Spielen machen. Ich werden weiter meinen blog dazu mit uninteressantem Geschreibsel füllen. Und vielleicht schaffe ich es, mal was etwas anderes, was ich mit Spiele teils schon sehr lange vor habe, zu machen: Eine Kampagne für Age of Empires bauen, Return of Rome bietet sich da an. Zu lernen, wie man Random Map Scripts für Age of Empires 2, Age of Mythology und evlt. Age of Empires 4 erstellt. Ein Abenteuer für Herrscher des Olymp - Zeus bauen. Es fehlte mir meist an einer Idee, mittlerweile habe ich aber für alle etwas. Und vielleicht schaffe ich es auch, mich mit dem Pico-8 zu beschäftigten (und nebenbei lua zu lernen), die Godot Game Engine wäre auch interessant. Ob ich irgendwas davon schaffe? Keine Ahnung. Ich habe erstmal andere Herausforderungen und dann mal sehen, wie viel Zeit und Energie dann noch bleibt.